Last Update: 12.01.1997
Nautische Nachrichten der Kreuzer-Abteilung im DSV (2/1995)
Aus dem Tatbestand:
Bei der "Screwdriver" ("S') handelte es sich um eine 1988 von der Bavaria Yachthau GmbH in Giebelstadt in Serie gebaute motorisierte Segelyacht des Typs "Bavaria 42 C" aus Glasfaserkunststoff mit einem Mast und einer Gesamtsegelfläche von 95,8 Quadratmeter. Der Innenbordmotor mit Wendegetriebe wirkte auf einen rechtsdrehenden Festpropeller. Die Innenraumaufteilung des Fahrzeugtyps umfaßte fünf Kabinen mit zehn Kojen, eine Pantry, zwei Naßzellen und ein Navigationspult. Zur navigatorischen Ausrüstung gehörten ein Magnetkompaß, die für den Reiseweg erforderlichen Seekarten, ein Sumlog und ein Echolot, ein GPS-Navigator usw. Die Steuersäule mit Steuerrad lag in der Mittellängsschiffsrichtung im achteren Teil der Plicht, die an den Seiten und am Heck von Backskisten begrenzt wurde. Das Profilruder mit Vorbalance war über das Steuerrad mit Seilzug und Quadranten bewegbar. Nach den in dem Bootsschein enthaltenen Angaben wurde die mit einer YANMAR-Antriebsmaschine (Motor-Nr. 01375/43) ausgerüstete Segelyacht "S" mit der Bau-Nr. BAVDEAB 31088 im Jahre 1988 ausgeliefert.
Nach den Bekundungen des Geschäftsführers, Herrn A., der Firma C., München, sei er selbst der Eigentümer der "S" gewesen. Von dem in Wien/Österreich ansässigen Unternehmen D. sei das Fahrzeug von der Bavaria Bootswerft bestellt, ausgerüstet und 1988 in die Karibik versegelt worden. Er habe die zirka drei Monate alte Segelyacht von diesem Unternehmen erworben und die "S" von der Firma D. weiter betreuen und verchartern lassen. Aufgrund sich daraus ergebender Probleme und finanzieller Differenzen mit der inzwischen in Konkurs gegangenen Firma sei er zu dem Entschluß gekommen, die Segelyacht in einen Mittelmeerhafen überführen zu lassen, um das Fahrzeug von dort aus an zahlende Gäste zu verchartern. Da er von der Firma D. nie Informationen über Havarien oder über größere Schäden erhalten habe, nehme er an, daß die "S" während der Stationierung in der Karibik unfallfrei gefahren sei. Zirka zwei Monate vor Beginn der Überführungsreise habe er für die "S" Bei Benutzung der ihm von der Firma D. übermittelten Angaben über Bauserien- und Motornummer den Internationalen Bootsschein des ADAC ausstellen lassen und unter anderem erhebliche finanzielle Mittel für die Beschaffung einer neuen Sturmbesegelung, einer Notsignalausrüstung, von Navigationsgeräten (GPS), eines UKW-Gerätes, einer Seenotfunkboje (EPIRB) usw. investiert.
Nach Mitteilung der Bauwerft sei der Segelyachttyp "Bavaria 42 C" in den Jahren 1986 bis 1989 insgesamt 66mal gebaut worden. Dieser Fahrzeugtyp sei sowohl für den Privatmann als auch für den Chartereinsatz konzipiert worden, und die im Laufe der Jahre gemachten Erfahrungen seien insgesamt positiv gewesen. Probleme in der Ruderanlage oder Ruderschaftshalterung habe es nach den Erkenntnissen der Werft nicht gegeben. Bei einer Nachprüfung der im Internationalen Bootsschein angegebenen Bau- und Motornummer sei werftseitig festgestellt worden, daß kein Fahrzeug mit der in diesem Papier angegebenen Serien- und Motornummer ausgeliefert worden sei.
Der beteiligte Fahrzeugführer B. hat berichtet, er betreibe den Segelsport seit 1974 und habe bereits an diversen längeren Segeltörns im Mittelmeer und atlantischen Bereich teilgenommen und sei auch Eigner einer Segelyacht mit einem Liegeplatz am Gardasee. Er habe in Absprache mit dem Eigner der Segelyacht "S" von Grenada in der Karibik nach Mallorca / Mittelmeer überführen sollen. Nach Ankunft in der Spice Island Marina auf Grenada sei am 21./22.April 1993, wie auch aus der vorliegenden Checkliste hervorgehe, mit der Sicherheitsüberprüfung der Yacht begonnen worden, um eventuelle Mängel und Schäden ausfindig machen zu können. Da ihm die Reparaturanfälligkeit und auch der teilweise nicht ganz einwandfreie Zustand der Charterfahrzeuge bekannt sei, achte er auf die richtige Zusammensetzung der Crew, um eventuell später auftretende Schäden bordseitig ohne Probleme beseitigen zu können. Bei erkennbaren Sicherheitsmängeln lehne er Überführungen ab. Dies habe er in der Vergangenheit bereits praktiziert.
Von ihm, B., sei das Fahrzeug geführt worden. Die Crew habe aus dem Navigator, Herrn E., dem Wachführer, Herrn E, und dem Rudergänger, Herrn G., bestanden. Nach Beseitigung der Mängel habe er die Crew in die Handhabung der Rettungs- und Sicherheitsgeräte eingewiesen sowie das "Mann-über-Bord"-Manöver" und Segelmanöver einüben lassen.
Die für die Reise gut ausgerüstete, hochseetüchtige und entsprechend bemannte Segelyacht "S" habe am 24. April um 2200 Uhr Ortszeit den Hafen von Spice Island verlassen, um nach Forte de France auf Martinique zu segeln, wo am 24. April gegen Mittag der Hafen angelaufen worden sei. Nach Behebung der auf dem 262-Seemeilen-Törn festgestellten Schäden sei am 26.April 1993 kurz vor Mitternacht die Reise in Richtung Mittelmeer via Azoren angetreten worden. Bei guten Windverhältnissen sei die Reise beinahe problemlos verlaufen. Immer wieder seien zwar kleinere Reparaturen angefallen, die allerdings mit Bordmitteln hätten erledigt werden können. Am 9.Mai 1993 gegen 0800 Uhr auf der ungefähren Position 36° 08,6' N 08,5' W sei es durch ein defektes Rollreff nur noch möglich gewesen, bis zu 60° am Wind zu segeln. Im Laufe des 9. Mai am Nachmittag habe der südöstliche Wind angefangen zuzunehmen, die See sei höher geworden und das Barometer kontinuierlich gefallen. Ab 10. Mai um 0000 Uhr sei das Wetter zunehmend schlechter geworden, und unangenehme Kreuzseen hätten sich bemerkbar gemacht. Um zirka 0530 Uhr Bordzeit auf der Position 37° 32' N 46° 09' W habe der weiter aus südöstlicher Richtung kommende Wind 7 bis 8 Beaufort und der Seegang eine Höhe von 4 Metern gehabt. Am Magnetkompaß sei ein Kurs von 75° gesteuert worden, und der südöstliche Wind habe während des Vormittags die Sturmstärke 9 erreicht. Mit dem GPS Navigator sei die 1200-Uhr-Bordzeit-Mittagsposition festgestellt worden. Demnach habe die "S" auf 37° 55,53' N 45° 20,46' W gestanden, und die Segelstellung sei immer wieder dem Wind angepaßt worden. Um 1400 Uhr sei der obere Teil der Ruderschaftshalterung gebrochen, und danach habe die Crew versucht, den Schaden mit Bordmitteln zu beseitigen. Abends sei bei dem anhaltenden Sturm mit Wind aus südöstlicher Richtung der Stärke 9 und einer Seegangshöhe um 5 Meter der Navigator E. in einen Unfall verwickelt worden. Nach dem Reffen des Vorsegels sei der mit einem Gurt und einer Leine gesicherte Herr E. im Begriff gewesen, in die Plicht zu klettern. Er., B., habe eine gefährliche herannahende hohe See bemerkt und noch geschrien "Vorsicht Welle". Trotz der Warnung sei aber der Navigator von dieser Welle erfaßt und mit dem Rücken gegen eine Backskistenkante geschleudert worden. Die stark schmerzende, für die Crew nicht zu diagnostizierende Verletzung habe zum Totalausfall des Navigators geführt, da dieser durch den Unfall bewegungsunfähig geworden sei. Mit der Sturmfock habe er, B., versucht, die "S' beigedreht in der See zu halten. Nach dem Bruch des Aufsatzes der Pinne für das Notruder habe die Crew erfolglos versucht, den Ruderschaft mit Holz und Leinengut zu halten. Am 11.Mai habe die "S" unverändert beigedreht gelegen, und da das Ruder nicht mehr zu gebrauchen gewesen sei, habe er das Verkeilen des Ruderschaftes angeordnet. Weiterhin sei der Ruderschaft mit Leinen zur Sicherung belegt worden, aber trotz dieser Maßnahm sei gegen 0510 Uhr das erste Wasser im Schiff beobachtet worden.
Am Morgen habe der aus südlicher Sicht kommende Wind zunächst kurz abgeflaut und habe dann auf Nord gedreht und wieder stark zugenommen. Der Ruderschaft unten sei nochmals gesichert worden und das Schiff beigedreht in der See gehalten worden. Die "S" habe mit der vorhandenen Pumpenkapazität noch gut lenz gehalten werden können. Nachmittags sei von ihm die Crew über den Einsatz der Rettungsmittel unterwiesen worden, auch habe er Seenotsignale ausgegeben, Proviant und Wasser für das eventuelle Verlassen des Fahrzeuges verpackt verteilt und die Handhabung des Rettungsfloßes besprochen. Mit dem UKW-Gerät seien im Abstand von 30 Minuten jeweils PAN-Meldungen abgegeben worden. Der Wassereinbruch habe nicht lokalisiert werden können, jedoch sei angenommen worden, daß Seewasser über den Ruderschaftsbereich eindringen müsse. Gegen 1945 Uhr Bordzeit bei Wind aus nördlicher Richtung der Stärke 7 sei die Nothalterung des Ruderschafts erneut gebrochen; eine erneute Reparatur des Schadens habe das Eindringen des Wassers nicht verhindern können. Bei zunehmendem Sturm aus Nord der Stärke 9 bis 10 Beaufort und hohem Seegang sei die Lage kritisch geworden, und die Crew habe sich Gedanken um das Aufgeben des Fahrzeugs gemacht. Gegen 2300 Uhr habe eine hohe See die "S" voll getroffen, die notdürftig reparierte Ruderschafthalterung sei wiederum zerbrochen. Nach der provisorischen Reparatur sei ein verstärkter Wassereinbruch festgestellt worden. Wegen der bedrohlichen Entwicklung habe er die Order gegeben, laufend Mayday-Notmeldungen abzusetzen. Aufgrund des Zustandes des Verletzten und der sich schnell verschlechternden Lage an Bord sei von ihm die Seenotfunkbake aktiviert worden, da die bordseitigen Möglichkeiten, sich mit Eigenmitteln aus der Lage zu befreien, erschöpft gewesen seien. In der Nacht am 12.Mai 1995 von 0000 bis 0800 Uhr Bordzeit sei ununterbrochen mit zwei Pützen das eindringende Wasser beseitigt worden, nachdem sämtliche Lenzeinrichtungen ausgefallen beziehungsweise nicht mehr brauchbar gewesen seien. Zwei große Brecher hätten die Segelyacht getroffen. Durch das eindringende Seewasser sei der Batteriekasten unter Wasser gesetzt worden. Der Wind habe etwas abgenommen und im Laufe des Tages auf West gedreht und mit einer Stärke von 6 bis 7 Beaufort geweht, Seegang und Dünung seien unverändert zwischen 6 und 7 Meter hoch gewesen. Der ganze Tag sei damit zugebracht worden, das eingedrungene Wasser zu lenzen und auf Hilfe zu warten sowie Notrufe abzusenden. Der Antriebsmotor sei wegen in der inzwischen im ganzen Schiff vorhandenen Feuchtigkeit nicht mehr zu starten gewesen, auch die Batterie sei durch das Seewasser in Mitleidenschaft gezogen worden, und es habe sich ein Leistungsabfall bemerkbar gemacht.
Zirka 17 Stunden nach dem Auslösen der EPIRB um 1608 Uhr, sei mit einem Flugzeug der Canadian Rescue Aircraft Funkkontakt zustande gekommen. Die Maschine "102" habe die "S" überflogen, und über Funk sei gegen 1715 Uhr mitgeteilt worden, daß das MS "Prince of Seas" ("PS") in zirka viereinhalb Stunden auf der Position der "S" ankommen werde. Da wegen des unter Wasser stehenden Batteriekastens die Stromversorgung der Funkanlage immer schwächer geworden sei, habe ein Crewmitglied eine intakte Batterie ausgebaut und an die UKW-Anlage direkt angeschlossen. Danach sei ab 1905 Uhr wieder Funkkontakt möglich geworden. Anschließend sei es wegen des Strommangels nur noch in großen Abständen möglich gewesen, Notmeldungen abzusetzen. Das Wasser im Fahrzeug sei langsam angestiegen, und um 2200 Uhr seien Seenotsignale abgeschossen worden, und die Crew habe auf die "PS" gewartet. Um zirka 2300 Uhr Bordzeit auf der geschätzten Position 39° 22' N 43° 50' W habe der hilfeleistende Frachter die "S" erreicht. Die Segelyacht sei auf der Leeseite der "PS" Iängsseits gegangen und habe eine Leine zum Festmachen erhalten. Der Wachführer F. sei als erstes Crewmitglied auf das Seeschiff übergestiegen, um die Bergung des verletzten Navigators E. zu koordinieren. Bei einem Westwind der Stärke 6 bis 7 Beaufort und erheblichem Seegang sowie einer hohen Dünung sei der Verletzte auf eine Tragbahre gebunden worden, und die philippinische Besatzung des Frachters habe mit Tauen die Bahre an Deck gezogen. Die "S" habe sich aufgrund der Seegangsverhältnisse an der Bordwand zirka 12 Meter auf und nieder bis auf die Höhe der Verschanzung bewegt. Mit Beiholern sei von der "S" der Verletzte zusätzlich stabilisiert worden und ohne weiteren Schaden an Bord der "PS" gekommen. Nachdem mehrere bereitgestellte Taschen mit einigen persönlichen Sachen an Bord des Frachters gezogen worden seien, habe erst das Crewmitglied G. und dann er, B.' die havarierte "S" verlassen. In Absprache mit dem gut deutschsprechenden niederländischen Kapitän der "PS" sei die Leinenverbindung mit der "S" gekappt worden, da die Leckage im Heckbereich nicht mit Bordmitteln zu beheben und die Yacht auch nicht mehr zu retten gewesen sei. Von Bord der "S" habe er, B., unter anderem noch das Logbuch, den Bootsschein sowie das herausgebrochene Teilstück der oberen Ruderschaftshalterung mitnehmen können. Bei der Rettungsaktion seien vom kanadischen SAR-Flugzeug laufend Leuchtkörper abgeworfen worden. Dadurch sei der Seebereich sehr gut ausgeleuchtet gewesen, was das Abbergen der Crew der "S" sehr erleichtert habe.
Zum Geschehen im Zusammenhang mit dem Seenotfall wird in den Tagebuchaufzeichnungen des unter der Flagge der Niederländischen Antillen fahrenden Kühlschiffes "PS" im wesentlichen ausgeführt, daß es am 12. Mai bei westlichem Wind um 9 Beaufort, sehr hohem Seegang und hoher, langer Dünung gegen 1900 Uhr auf der GPS-Position 39° 25,75' N 42° 38,63' W zu einem Funkkontakt mit dem kanadischen Rettungsflugzeug "102" gekommen sei. Die Meldung habe beinhaltet, daß auf der Position 39° 22' N 44° 04' W die Segelyacht "S" in Seenot sei. Um 1906 Uhr sei der Kurs von 89° auf 266° geändert worden, um der havarierten, zirka 64 Seemeilen entfernten Yacht Hilfe zu leisten. Um zirka 0024 Uhr habe "PS" die Position des Havaristen auf 39° 22,3' N 43° 53' W erreicht, und mit dem Leinenschießgerät sei eine Verbindung hergestellt und die Yacht Längsseits geholt worden. Bereits um 0054 Uhr sei der Verletzte und um 0105 Uhr die gesamte Besatzung der "S" übernommen gewesen. Das eigene Schiff habe bei der Rettungsaktion heftig gerollt und gestampft. Anschließend sei die "S" losgeworfen und die Reise fortgesetzt worden.
Nach den weiteren Bekundungen des Fahrzeugführers B. sei nach einer Reisezeit von zirka 5 Tagen die "PS" in Newport/UK angekommen. Obwohl der Verletzte E. an Bord des Frachters gut versorgt worden sei, habe dort keine Diagnose gestellt werden können. In einem Krankenhaus in Newport seien drei gebrochene Rippen und eine schwere Prellung der unteren Rückgratwirbel festgestellt worden. Er, B. habe über die Ursache der Havarie diverse Überlegungen angestellt. Bei Übernahme des Schiffes in Grenada sei von ihm der schwer zu öffnende Schraubverschluß des Notpinnenaufsatzes geöffnet und eingefettet worden. Die Steuerung sei leichtgängig gewesen, und das Ruder habe auf die Steuerbewegungen gut reagiert. Während der Überfahrt seien zu keinem Zeitpunkt bis zum Eintritt des Schadens Schwierigkeiten aufgetreten. Er habe das ausgebrochene Teilstück der oberen Ruderschaftshalterungen geborgen sowie Fotos von der defekten Notruderpinne und von den im Ruderschaftsbereich vorgenommenen Reparaturversuchen gefertigt. Wie aus den vorliegenden Unterlagen zu ersehen sei, könne der Schaden an der Ruderschafthalterung der "S" keinesfalls auf das Verhalten des Crew der "S" auf der Überreise zurückgeführt werden.
Das Crewmitglied E. hat die Ausführungen des beteiligten Fahrzeugführers zu den Reisevorbereitungen, zum Reiseverlauf, den aus der Ruderschaftshalterung entstandenen Schwierigkeiten und auch das Geschehen um den eigenen Unfall sowie zu den Ereignissen danach bestätigt und ergänzend ausgesagt, er sei früher selbst zur See gefahren und sei im Besitz eines Sportbootführerscheines See. Seit zirka acht Jahren gehe er dem Segelsport nach, meistens im Mittelmeerbereich. Er habe allerdings als Fahrzeugführer bereits eine Atlantiküberquerung mit einer Segelyacht durchgeführt. Die Zusammensetzung der "S"-Crew sei optimal gewesen, und das Fahrzeug sei von Herrn B. auf der Überführungsfahrt souverän und überlegt geführt worden.
Der Sachverständige und Havariekommissar, Herr H. aus Moers, hat in einem Gutachten über die Hochseetauglichkeit der Steuereinrichtung des Segelyachttyps "Bavaria-42-C" bei Hinzuziehung der vorhandenen Unterlagen im wesentlichen festgestellt, daß sich die in Serie gebaute Segelyacht "S" nach seinen Erkenntnissen von einen Fahrzeug, das nach den Vorschriften und unter Aufsicht des GL erbaut worden sei, nicht unterscheiden würde. Die Notpinne für den "Bavaria 42 C"-Yachttyp habe eine Vierkantöffnung, die auf das Vierkant des Ruderschafts aufgesteckt werden müsse. Die auf der "S" vorhandene Notpinne sei anders konstruiert gewesen. Die Bavaria-Bootswerft habe versichert, daß die auf der "S" zum Unfallzeitpunkt befindliche Notpinne keine Original-Notpinne sei.
Die Ruderanlage einschließlich der Ruderschaftshalterung der serienmäßig gebauten "Bavaria 42 C" habe den vom GL geforderten Unterlagen und laufenden Baumusterüberprüfungen entsprochen und sei hochseetauglich gewesen. Die Begutachtung der oberen Ruderschaftshalterung (ein Stück des oberen Topfes, in dem das Ruder in einem Lager sitzt, und einmal ein Knieholz) habe ergeben, daß das Knieholz mit einem GFK-Laminat überzogen worden sei. Dieses Laminat sei nur maximal zweifach absolut unfachmännisch auflaminiert worden, denn es liege weder auf den beiden Seiten noch am Endstück richtig auf. Der Topf (obere GFK-Halterung) zeige im Außenbereich, dort wo das Knieholz auflaminiert sei, ebenfalls einen völlig unfachmännischen Laminatauftrag. Hier sei klar ersichtlich, daß in der Verbindung zwischen Außenseite und Knieholz im Laminat das Harz/der Härter überwiegend nur tropfenförmig enthalten ist. Dies könne nicht halten. Des weiteren zeige der Topf im Innenbereich klar und deutlich, daß daran schon einmal gearbeitet worden sei. Dies sei sehr gut an den grauen Stellen im inneren unteren Topfbereich an der daran befindlichen Spachtelmasse erkennbar, die teilweise bis nach oben in den Seitenbereich herausgedrückt worden sei. Aus dem vorhandenen Bildmaterial und dem vorhandenen Topf sei zu erkennen, daß mit dieser sichtbaren Verschraubung durch die Muttern ohne Unterlegscheiben ein absoluter Einbaufehler festzustellen sei, da eine Unterlegscheibe hier auf jeden Fall mit eingebaut gehörte, um eine dementsprechende Festigkeit auch dem GFK-Laminat gegenüber zu gewährleisten. Die erkennbare Laminatauflage auf dem Knieholz sei gemäß den glaubhaften Versicherungen der Bavaria-Bootswerft nie so vorgenommen worden. Von der Bavaria-Bootswerft werde dieses Teil laminatmäßig immer in Kombination 1 Rowingmatte 600er und 4 Glasmatten 300 Gramm/Quadratmeter laminiert. Daraus ergäben sich somit insgesamt 5 Lagen Laminat. An dem vorhandenen Bruchstück sei eindeutig ersichtlich diese Laminierung nicht vorhanden gewesen. Er, H. gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, daß an der Ruderanlage sowie am oben genannten Laminat an dem Ruderhaltertopf von irgendeiner Seite aus eine oder mehrere nicht fachlich richtige Reparaturen durchgeführt worden seien. Durch das Schlagen des Ruderblattes in den Wellen breche dann irgendwann die gesamte Ruderhalterung aus dem GFK-Laminat heraus. Dadurch entstehe an der Stelle ein erheblicher Rumpfschaden, durch den das Wasser dann in das Fahrzeug eindringe.
Bei der Ursache für den Totalverlust der "S" müsse berücksichtigt werden, daß das Charterschiff 1988 gebaut worden sei. Erfahrungsgemäß seien Charteryachten in der Karibik oder im Mittelmeer durchschnittlich einschließlich der Überführungsfahrten zirka 40 Wochen pro Jahr ausgelastet. Es sei nicht auszuschließen, daß eine Crew auf eigene Rechnung eine Reparatur an der Ruderanlage habe vornehmen lassen, ohne dem Eigner davon eine Mitteilung zukommen zu lassen, um die Kaution nicht zu verlieren. Seines, H.'s, Erachtens sei die auf den Segelyachten der Baureihe "Bavaria 42 C" original eingebaute Ruderschaftshalterung und die vom GL zugelassene komplette Ruderanlage als absolut hochseetauglich anzusehen.
Nach einem ergänzenden Bericht des beteiligten Fahrzeugführers B. habe er nach dem Totalverlust der "S" zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Leiter der Bavaria-Werft ein ausführliches Gespräch über den Unfall und den derzeitigen Stand der Technik geführt. Seine von ihm, B., angesprochenen Mängel seien nach Mitteilung der Werft in den neuen Serien abgestellt worden. Unter anderem seien die Batterien jetzt höher gelagert, die Elektrokabel seien in Rohren nach oben verlegt worden und das Arbeiten im Ruderschaftsbereich sei gefahrlos möglich geworden. Ein führender Werftmitarbeiter habe die Vermutung geäußert, das Ruder könne einmal gestaucht und dabei die obere Halterung beschädigt worden sein. Dies halte er, B., für unwahrscheinlich, da das Ruder immer sehr gut gängig gewesen sei. Nach Mitteilung des Bootseigners liegt der durch den Totalverlust entstandene Schaden bei zirka DM 205 000,-.
Entscheidungsgründe:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wurde die Überführungsfahrt von dem Beteiligten B. und seiner sehr gut qualifizierten Crew äußerst sorgfältig vorbereitet, das Boot gewissenhaft auf etwa vorhandene Sicherheits- und Ausrüstungsmängel überprüft, kleinere Mängel wurden beseitigt und auch die vor Reiseantritt erforderlichen Einweisungen und Sicherheitsübungen vorgenommen.
Anhand der vom Fahrzeugführer eigens für solche Zwecke entworfenen Checklisten für Segelyachten und dem Logbuch wurden alle wesentlichen, das Schiff und die Reise betreffenden Fakten und Umstände vermerkt. Unter anderem geht aus der Checkliste hervor, daß auch das "Steuerradspiel" und die Notruderanlage überprüft und für in Ordnung befunden worden waren. Soweit zugänglich, hatte der Beteiligte B. auch die Ruderanlage geöffnet und optisch kontrolliert, aber sowohl hier als auch bei den Probefahrten und auf der Reise von Grenada nach Martinique keinerlei Mängel feststellen können. Diese Aussage deckt sich mit den Einlassungen des beteiligten Eigners A., welcher das Boot kurz vor Antritt der Überführungsfahrt selbst noch gesegelt hatte und der ebenfalls keine Mängel im Rudersystem hat feststellen können.
Vor der Abfahrt in Martinique hat der Fahrzeugführer Wetterprognosen für die bevorstehende Reise eingeholt und sich mit seiner Crew auch entsprechende Unterlagen beim Hafenmeister angeschaut, wobei er sich darüber im klaren war, auf der langen Überfahrt auch in schweres Wetter geraten zu können. Er hatte jedoch alles unternommen, um sicherzustellen, daß die Yacht seetüchtig und mit einer Besatzung bemannt war, die erfahren und körperlich in der Lage war, auch schweres Wetter unbeschadet durchzustehen.
Auch während der Reise wurden laufend Wetterberichte eingeholt, und so gab es auch bis zum 9. Mai 1993 keinerlei Probleme, bis um 0800 Uhr ein Rollreff defekt wurde, was die Seetauglichkeit der Yacht jedoch nicht ernsthaft einschränkte. Ab dem 10.Mai 1993 wurde das Wetter jedoch zunehmend schlechter, und um 1400 Uhr brach dann die obere Lagerung des Ruderkokers aus. Gegen Abend stürzte der Zeuge E. nach dem Reffen des Vorsegels infolge des starken Seegangs und einer besonders hohen Welle, wobei er sich stark schmerzende Verletzungen zuzog und danach nicht mehr einsatzfähig war. Obwohl der Beteiligte B. mit seiner Restcrew alles versuchte, den Schaden am Boot mit Bordmitteln zu beheben und die Yacht mit der Sturmfock beigedreht in der See zu halten, brach auch noch der Aufsatz der Pinne für das Notruder, wonach versucht wurde, den Ruderschaft mit Holz und Leinengut notdürftig zu halten. Am 11 .Mai war dann auch das Notruder nicht mehr zu gebrauchen, und der Ruderschaft wurde verkeilt und mit Leinen zur Sicherung belegt. Durch das schwere Arbeiten des Schiffes im Seegang verkantete der Ruderschaft und beschädigte das untere Lager des Ruderkokers, welches in den Rumpf eingelassen war, sodaß erhebliche Wassermengen in das Schiff eindringen konnten. Ob diese Beschädigungen außerdem infolge einer konstruktiv bedingten mangelhaften Ausführung auf der Bauwerft des Bootes oder allein durch unsachgemäße und nicht sichtbare Reparaturen früherer Chartergäste eingetreten sind, wie der Sachverständige H. in seinem Gutachten ausführt, ließ sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen.
Infolge der eindringenden erheblichen Wassermassen, welche durch die elektrische Lenzpumpe und eine Handlenzpumpe nicht mehr zu bewältigen waren, zumal die Pumpen später auch noch ausfielen und mit der Hand gepützt werden mußte, geriet das Boot in eine Notlage, und es wurden PAN-Meldungen, dann Mayday-Notrufe abgegeben und danach EPIRB ausgelöst. Von kanadischer Seite wurde daraufhin ein Such- und Rettungsflugzeug entsandt, welches die Segelyacht "S" auch fand und zur Bergung der Besatzung das Motorschiff "PS" heranführen konnte, welche dann auch in seemännisch vorbildlicher Weise vonstatten ging. Im Ergebnis war daher der Unfall auf die genannten Ursachen zurückzuführen, die nicht von den Beteiligten zu vertreten waren. Der beteiligte Fahrzeugführer B. hat vielmehr bei der Planung und Durchführung der Reise sowie nach dem Eintritt des Notfalles eine besondere Sorgfalt und Umsicht erkennen lassen.
Allerdings mußte ihm fehlerhaftes Verhalten angelastet werden, daß er die Yacht geführt hat, ohne hierfür den Nachweis über seine Befähigung für das entsprechende Fahrtgebiet erbracht zu haben, wie es nach den Sicherheitsrichtlinien der Kreuzer-Abteilung des DSV empfohlen wird, deren Einhaltung seemännischer Sorgfaltspflicht entspricht. Über den entsprechenden Befähigungsnachweis verfügte der Beteiligte B. zum Unfallzeitpunkt zumindest noch nicht. Auch der beteiligte Eigner A. hat sich fehlerhaft verhalten, da er nicht überprüft hat, ob der Fahrzeugführer einen entsprechenden Befähigungsnachweis besaß. Diese fehlerhaften Verhaltensweisen der Beteiligten im Sinne des Paragraphen 18 SeeUG waren jedoch nicht unfallursächlich.
Seeamt Emden vom 1. Februar 1994 (Az.: Dl 40/93)
Zum letzten Absatz ein Kommentar von Bobby Schenk (seines Zeichens außer Segler auch Richter) aus seinem Buch "Sicherheit an Bord":
Ein wenig Urteilsschelte: Hat der Skipper den Nachweis seiner Befähigung nicht durch seine Umsicht, durch seine exzellente Seemannschaft erbracht? Wiegt ein Stück (deutsches) Papier mehr? Solche Ausführungen haben in einem Gerichtsurteil schon deshalb nichts zu suchen, weil sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen, also falsch sind. Tatsächlich hat der Gesetzgeber für die hohe See eben keinen Befähigungsnachweis vorgeschrieben, schon gar nicht einen Schein des Deutschen Segel-Verbandes, eines privaten Vereins also. (Es entsteht der Eindruck, daß hier die Kreuzer-Abteilung des DSV wohl mit Hilfe eines Beisitzers im Gericht an die Stelle des Gesetzgebers treten möchte. Bei diesem Thema sollte man auch daran denken, daß der DSV sich Jahrzehnte lang mit seinen zigtausend ausgestellten Segelscheinen, die allesamt vom Staat aus guten Gründen niemals vorgeschrieben und anerkannt wurden, eine einträgliche Einnahmequelle verschafft).
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.